Neuroplastizität einfach erklärt – die Geschichte vom vorübergehend fehlenden Lichtschalter
Neuronale Plastizität: wie Klienten mit einfachen Bildern ihre Denkmuster und Handlungsmuster ändern können. Eine Einladung an das Gehirn.
Stellen Sie sich vor, Sie kommen seit Jahren abends in Ihre dunkle Wohnung. Leider hatte der Elektriker beim Bau des Hauses vergessen, neben der Eingangstüre einen Lichtschalter anzubringen. So tappen Sie jeden Abend durch den Flur. Erst am Ende befindet sich der Lichtschalter.
Oft stolpern Sie deshalb.
Meine Frage hier und auch in den Beratungssitzungen:
Ist eine Wohnung psychisch gestört, weil an ihrem Eingang ein Lichtschalter fehlt?
Natürlich kann eine Wohnung nicht gestört sein. Dies ist eine Metapher, ein Vergleich. Das Bild von der Wohnung soll den Klienten in der Beratung eine Brücke zu ihrem eigenen Leben bauen.
Was hat die Geschichte der Wohnung mit der Neuroplastizität zu tun?
Die Metapher mit dem Lichtschalter bezieht sich auf Assoziationen und auf neuronale Verbindungen im Gehirn. Die dunkle Wohnung steht dabei bildhaft für eine Alltagssituation, in der sich ein Mensch „dunkel“ (alleine gelassen, ratlos, hilflos, ohnmächtig) fühlt.
Er ist aber nicht ohnmächtig. Er ist auch nicht hilflos. Es fühlt sich nur so an, weil noch keine hilfreiche Erfahrung für eine spezielle Situation etabliert ist.
Der entscheidende Unterschied und der Weg aus dem „Dunkel“ des Moments sind die vorhandenen Ressourcen, Stärken, Erfahrungen, Beziehungen usw., die diese Person zur Verfügung hat: wenn sie diese sieht. In der Wohnung (Metapher der Intervention) ist es anfangs dunkel. Der Weg zum Licht (analog zu den Gedanken, die zu einer Lösung führen), was beschwerlich.
So kann diese Geschichte von der Wohnung den Weg zu eigenen Ressourcen zeigen
Ich frage in der Beratung weiter: Falls Sie diese Wohnung wegen eines fehlenden Schalters nicht als hoffnungslos gestörten „Fall“ ansehen, wen würden Sie (wenn Geld keine Rolle spielt) anrufen und bestellen, damit das Lichtschalterproblem gelöst ist?
Ein Elektriker soll kommen und einen Lichtschalter ergänzen! Das ist die naheliegende Antwort.
Und das Gehirn? Was kann der Mensch durch sein Gehirn für sich bewirken?
An dieser Stelle hilft erneut das Elektrikerbild. Im Falle der Wohnung ist es „ganz klar.“ Der Handwerker kommt und verlegt die Leitung und baut einen Schalter an die Wand.
Und das Gehirn? Für das Gehirn ist es viel einfacher, einen neuronalen Schalter zu Licht – also eine mentale Verbindung zu Ressourcen mitten in einer Krisensituation (Dunkel) – einzubauen als für den Elektriker in der Wohnung.
Es gibt keinen Lärm und keinen Schmutz, es wird nicht gebohrt und nicht gehämmert.
Auftrag und Einladung an das Gehirn
In den Beratungssitzungen lade ich dann dazu ein, sich eine Situation vorzustellen, in der es sich wie im dunklen Flur anfühlt. Und wie hilfreich es dann ist, einfach das Licht einzuschalten: mental und auch emotional aus der Situation herauszukommen und sich selbst zu helfen.
An dieser Stelle ist die Geschichte von der Wohnung zu Ende. Und eine neue Geschichte für die Klienten beginnt.
In der Beratung sprechen wir noch einen Moment darüber, wie das Gehirn aus vorgeschlagenen Assoziationen innerhalb von Sekunden hilfreiche neuronale Schalter entwickeln kann. Manche Personen werden dann nachdenklich. Man sieht förmlich, wie es oben im Kopf arbeitet. Um die Wirkung noch zu verstärken, frage ich, welche Form der Schalter hat und aus welchem Material er ist.
Als zusätzlicher Verstärker kann dienen, zum Beispiel an die Gürtelschnalle zu fassen und dies als symbolische Lichtschalterbetätigung zu verinnerlichen. Je mehr Datenpunkte das Gehirn hat, desto stärker und schneller wirkt die Intervention im Alltag.
Warum frage ich nach der Art und Beschaffenheit des erdachten Lichtschalters im Kopf?
Der erdachte Lichtschalter ist ein Ressourcenschalter. Wenn die Klienten ihr eigenes „Design“ zu der Metapher geben, dann ist es ab da ihre eigene Geschichte und Wirklichkeit, nicht mehr meine Intervention.
Wie wirkt diese Intervention?
Schnell. Sie wirkt schnell, weil sie sofort einleuchtet und sehr einfach ist. Das Betätigen eines Lichtschalters zählt zu den trivialen Vorgängen des Alltags. Man braucht das nicht zu lernen und sich auch nicht zu merken.
Zwischen diesem Bild des Lichtschalters stellen Klienten eine starke Verbindung zu den eigenen Ressourcen her: Situationen, in denen ich mich sicher und stark fühle. Diese Situationen entsprechen dem Licht im eben noch dunklen Flur.
Ein anerkannt einfacher Vorgang aus dem Alltag verbindet sich in der eigenen Vorstellung und bald auch in der eigenen Gewohnheit mit einer Situation, die früher noch als schwer veränderbar eingestuft wurde. Durch diese Veränderung wird es faktisch einfach, Zugang zu den Ressourcen zu haben. Die Erfahrungen zeigen genau das.
Wie können Sie diese Geschichte in Ihrem Alltag anwenden?
Fragen Sie sich, was „Ihr dunkler Flur“ sein könnte. Und dann stellen Sie sich vor, wie Ihr Gehirn von alleine eine direkte Verbindung aus belastenden Situationen zu Ihren größten Stärken herstellt …
Mit Neuroplastizität verwandte und oft gesuchte Themen:
- Neuronale Verbindungen: Die Netzwerke im Gehirn, die durch Neuroplastizität verstärkt oder neu gebildet werden können, um Verhaltensänderungen zu ermöglichen.
- Synaptische Plastizität: Die Fähigkeit der Synapsen, ihre Stärke und Effizienz zu ändern, entscheidend für Lernprozesse und Gedächtnisbildung.
- Kognitive Flexibilität: Die Fähigkeit, Denkprozesse zu wechseln und sich an neue oder unerwartete Situationen anzupassen, ein wichtiges Merkmal von Neuroplastizität.
- Verhaltensmuster: Wiederkehrende Reaktionsweisen, die durch Neuroplastizität bewusst verändert und umgestaltet werden können.
- Neuronen: Die Nervenzellen im Gehirn, die in ihrer Vernetzung und Funktionalität durch neuroplastische Prozesse beeinflusst werden.
- Motorisches Lernen: Der Prozess der Bewegungsoptimierung durch Wiederholung und neuroplastische Anpassung, wichtig für die Rehabilitation und sportliche Leistungen.
- Achtsamkeit: Eine Praxis, die nachweislich neuroplastische Veränderungen fördert, indem sie neue neuronale Pfade für Ruhe und Fokus etabliert.
- Selbstwirksamkeit: Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen zu meistern, verstärkt durch positive neuroplastische Veränderungen.
- Langzeitpotenzierung (LTP): Ein neurophysiologischer Mechanismus, der die Verstärkung von Synapsen ermöglicht und als Grundlage für langfristiges Lernen gilt.
- Habituation: Die Gewöhnung an wiederkehrende Reize, ein einfaches Beispiel für neuroplastische Anpassung im Gehirn.