Dieser Beitrag handelt von der Verbindung der Computerlinguistik und der Psychotherapie. Sie erfahren hier, wie Sie als Person auf Lösungssuche im therapeutischen Kontext die computergestützte Semantik nutzen können. Das Ziel semantischer Assoziationsanalyse ist es, für millionenfach vorkommende Störungsbilder und Problembeschreibungen eine überschaubare Anzahl semantischer Standards zu definieren, mit denen Menschen (Therapeuten wie Klienten) neue Wahlmöglichkeiten erhalten.
Semantische Assoziationsanalyse: mentale und emotionale Prozesse erkennen und beeinflussen
Die internetbasierte, semantische Analyse und das Natural Language Processing NLP können der Psychologie und der Selbstintervention bedeutende Dienste erweisen. Die Semantische Assoziationsanalyse ist eine auf die menschliche Bedeutungsgebung und Handlungsplanung bezogene Sonderform der Assoziationsanalyse. Die Assoziationsanalyse mit dem Bezug zur menschlichen Psyche wurde von mir im April 2020 erstmals vorgeschlagen.
- Der Hauptnutzen der Semantischen Assoziationsanalyse liegt darin, Interpretationen (Bedeutungsgebungen) willentlich verändern zu können.
- Menschliches Erleben und Verhalten werden nachvollziehbar und veränderbar – gesteuert durch das Individuum, das bei sich selbst etwas verändern will.
- Kontextbedingungen ohne aktuell sichtbare Lösungsstruktur können durch diese Form der Analyse mit Lösungsnetzwerken verbunden werden, die bereits im eigenen Leben als Erfahrungen vorhanden sind.
- Die Semantische Assoziationsanalyse dient der Vereinfachung und Effizienzsteigerung von Beratungsprozessen wie Psychotherapie, Coaching und Supervision.
Messbare Ergebnisse aus der Computerlinguistik für die Psychotherapie
Formulierte Ziele und Absichten, bei denen es um die Beseitigung von negativen Umständen geht, sind überwiegend mit negativen Begriffen assoziiert. Das betrifft auch die Formulierung der Lösungen.
Die Auswertungen der folgenden Begriffe erfolgten mit termlabs.io
Eine Person, die sich bemüht, einen negativen Zustand zu beseitigen und ihre Aktivitäten so benennt, kann kaum ein positives Zielbild entwickeln. Alles zielt auf ein Ende und nicht auf einen Beginn:
- Krieg beenden
- Angst überwinden
- Unordnung beseitigen
Beispiel: Unordnung beseitigen
Im Zusammenhang mit dieser Idee kommen folgende Adjektive häufig vor: wenig, täglich, ständig, eben, groß und diese Verben: beseitigen, auskommen, befreien, sortieren, vermeiden, machen, herrschen, aufräumen, schieben, entstehen, schaffen, leiden, führen, sorgen
Beispiel: Ordnung bewahren:
Adjektive: schnell, effektiv, langfristig, geschaffen, richtig, systematisch, endlich, leicht, einfach, zonenweise, dekorativ, grundlegend, gründlich, gewonnen, zusätzlich, dauerhaft, weltweit, schön und Verben: halten, schaffen, bewahren, aufrechterhalten, beibehalten, aufrechterhalten, stören, einsehen, herstellen, überprüfen, bringen
Auch wenn sich diese Ergebnisse auf das geschriebene Wort beziehen – in der gesprochenen Sprache sieht es ähnlich aus.
Menschen, die einen belastenden Zustand beenden wollen, reden auch in der Zielformulierung von Lasten:
emotional, seelisch, psychisch, alltäglich, schwer, dauerhaft, stark überwinden, erkennen, reduzieren , entstehen, kommen, unterkriegen, bereinigen, verkraften, befreien, loslassen, umgehen, stecken, reagieren, bekommen, schützen, erfahren, fallen
Wer sich zur Leichtigkeit hin orientiert, verwendet ein anderes Sprachmuster:
Leichtigkeit zulassen: mental, neu, voll, sprichwörtlich, humorvoll, psychisch, inner, verwandeln, zulassen , brauchen, lassen, ausstrahlen, aufleben, meistern, versetzen, trainieren, erlangen, einstellen, setzen, verstehen, gestalten, kommen, erfahren, finden, lernen
Das Sprachmuster bei der Formulierung einer gewünschten Veränderung ist daher entscheidend für den Verlauf der Veränderung.
Auch bei der Beschreibung bzw. Analyse eines Problems liefert das Sprachmuster je nach Wortwahl entweder Ausblicke auf Handlungsoptionen oder vermeintliche Beweise für die vermeintliche Hoffnungslosigkeit einer Situation.
Einfache Erklärung: Was sind Assoziationen, was die Auswirkungen?
Menschliche Assoziationen (von lat. (a)sociare, vereinigen) sind willentlich bzw. unwillkürlich (unbewusst / „automatisch“) gesetzte Verbindungen im Gehirn z. B. zwischen Symbolen (Schrift, Sprache, Formen), Empfindungen (Freude, Schmerz) und Aktionen bzw. Reaktionen (Aktivität, Passivität, Rückzug, Flucht, Vermeidung etc.)
Unwillkürliche Assoziationen
Zu den ohne Absicht oder willentliche Anstrengung, also unwillkürlich entstehenden Assoziationen zählen:
- Somatische Assoziationen (Stressreaktionen, Hormonaktivität)
- Mental-psychische Assoziationen (Schlussfolgerungen, Hypothesen, Hochrechnungen)
- In der Psychologie ist von assoziierten Störungen (auch: Komorbiditäten) die Rede.
Assoziationen lösen Hypothesen, Hochrechnungen und Erfahrungen aus, die nicht reflektiert sind und zu führen
Beispiele für nicht reflektierte (nicht kritisch geprüfte) Assoziationen:
- Tiere & gefährlich
- Autoritäten & Unterdrückung
- Die Welt & Gefahr
Unreflektierte Hypothesen können zu verzerrten Wahrnehmungen und Wirklichkeiten führen
Beispiele für nicht reflektierte Hochrechnungen und Hypothesen:
- Dieses Tier (Schlange) ist gefährlich >>> Alle Tiere sind gefährlich
- Eine Person mit Macht hat mich stark beeinflusst >> Alle Autoritäten unterdrücken
- Ich war an einem bestimmten Tag in Gefahr >> Die Welt ist bedrohlich
Ein Mensch, der im Kontext von Gewalt oder Krieg aufgewachsen ist, wird der Welt tendenziell eher misstrauisch begegnen: bis er neue Erfahrungen gesammelt und in sein Leben integriert hat.
Unreflektierte Erfahrungen können auch „unabsichtlich“ Gutes bewirken:
Ein Mensch, der im Kontext von Sicherheit und Geborgenheit sozialisiert wurde, setzt im Erwachsenenleben aller Wahrscheinlichkeit nach überwiegend einen Zustand von Sicherheit voraus.
Er wähnt sich latent in Sicherheit.
Bei der Semantischen Assoziationsanalyse geht es wie auch in der Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer um die Suche nach Ausnahmen. Wenn eine Assoziation bereits einmal in günstiger Weise wirkte, lässt sich diese Wirkung willentlich wiederholen.
Willentlich herbeigeführte Assoziationen
Zu den absichtlich herbeigeführten Assoziationen zählen Formen des bewussten Lernens und der Verhaltensselbststeuerung
Die beabsichtigte (intentionale) Assoziation ist das Ergebnis willentlich und planvoll aufgebauter neuronaler Verbindungen – und umgekehrt.
Es kommt zu einer bidirektionalen Wirkung und zu einer Verbreitung in andere Bereiche des Denkens. Je mehr Netzwerke des Gehirns aktiv werden, desto mehr zusätzliche Netzwerknachbarn können wirken – und damit z. B. aus einer Problemsituation eine Lösungssuche mit Handlungsoptionen ableiten.
Durch das wiederholte Aufnehmen und Wiedergeben von Informationen (z. B. Abitur-Lernstoff) und Bewegungsabläufen (Klavierspielen, Leichtathletik) schafft der Mensch über neuronale Verbindungen dauerhaft abrufbare Erinnerungen und Fähigkeiten, komplexe Abläufe (z. B. das Spielen einer Bachsonate) zu einem beliebigen Zeitpunkt zu wiederholen.
Training und Lernen: hier besteht die Absicht, Daten und Fertigkeiten in einem gewünschten Kontext abrufbar zu haben.
Vorbild kann hier das Trainieren von Netzwerken in künstlichen neuronalen Netzwerken sein – mit aktivem Interesse und Beteiligung der Probanden bzw. Klienten.
Es ist ein erhebliches Plus an Selbstwirksamkeit, wenn ein Mensch feststellt: Das, was diese von Menschen gebaute Anordnung von künstlichen neuronalen Netzwerken in der Neuroinformatik kann, das kann mein Gehirn auch, und sogar noch besser.
Assoziation ist mit Standardisierung und Wiederholung verbunden
Beispiele für willentlich erzeugte Assoziationen: „Ich verbinde mich mit …“
- Jemand blättert im Kochbuch oder sucht im Internet nach Rezepten
- Ein Mensch bleibt vor einem Restaurant stehen und liest die Speisenkarte
- Ein übergewichtiger Mensch denkt beim Gedanken an Essen parallel an seine Gesundheit und entschließt sich dazu, ersatzweise einen Tee zu trinken
Willentlich herbeigeführte Assoziationen sind wirksam – der Wunsch nach Dissoziation ist paradox und unerfüllbar
Ein Mensch, der seine Angst oder seine Zwangsvorstellungen loswerden oder in den Griff bekommen will, formuliert ein unmögliches Ziel.
Wenn Sie sich hingegen sagen: „Immer wenn ein idiotischer Gedanke, ein seltsamer Gedanke auftaucht, reagiert mein Gehirn mit Erstaunen, und es langweilt sich schnell …“ , dann handelt es sich um das bewusste Training eines neuronalen Netzes. Im eigenen Kopf.
Die schematische Darstellung eines einfachen künstlichen Netzes ANN kann als Demonstrationsobjekt dienen.
Assoziationen lassen sich durch zusätzliche Assoziationen verändern
Selbst wenn sie in einer bestimmten Biografie bereits oft gewirkt haben:
Auch unwillkürliche Assoziationen sind nichts Statisches. Sie können wie zufällig überall auftauchen. Man spricht von einer Haltung, z. B. Misanthropie bei Menschen, die schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht hatten.
Die Wirkung von Assoziationen lässt sich durch das Hinzufügen von Assoziationen verändern.
Verbindung der Assoziationsanalyse zur Computerlinguistik
Die Computerlinguistik macht unstrukturierten Text in Textkorpora sowie gesprochene Sprache maschinenlesbar. Sie ermöglicht es, bestehende Zusammenhänge und Ordnungen (Entitäten, Kookkurrenzen und Netzwerke aus Informationen) festzustellen und zu dokumentieren.
Interessant besonders für die Verbindung zur Psychotherapie ist die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeiten für parallel oder kurz zeitversetzt eintretende Ereignisse zu berechnen.
Was hat Computerlinguistik mit Beratung und Psychologie zu tun?
In der Computerlinguistik dienen die Erfassung und Strukturierung von Rohdaten (unstrukturierte Sprache in Textform dazu, Muster zu erkennen und individuelles menschliches Verhalten einzuordnen, planbar zu machen.
Algorithmische Warenkorbanalysen dienen in der Computerlinguistik dazu, dem Käufer auf einer Website automatisiert passende Produkte für seinen Kauf vorzuschlagen.
Hierbei wird versucht, die wahrscheinliche Intention des Nutzers zu bestimmen und seine implizite Erwartung zu nutzen.
So können Analysetechniken der Computerlinguistik in der Neurowissenschaft und Psychologie helfen
Das Erfassen eines Textkorpus bildet die Basis für umfangreiche semantische Analysen.
Sämtliche in einem Textkorpus z. B. von einer politischen Partei veröffentlichten und in Parlamentsdebatten vorgetragenen Aussagen lassen Analysen zur Intention und den Absichten der Partei zu. Analysen von Nachrichten-Websites wie Twitter lassen Stimmungen und Trends erkennen.
Diese im Machine Learning und in Bereichen der Künstlichen Intelligenz bereits etablierte Technik lässt sich zum Nutzen von Menschen einsetzen:
Der Wortschatz und die Gedankenkonstruktionen von Menschen: Milliarden mögliche Textkorpora – und dazu standardisierbare Interventionsmöglichkeiten
Bislang werden die Äußerungen von Menschen dort erfasst, wo sie in Alltagsprozessen auftauchen:
- Tweets bei Twitter
- Kommentare, Fragen und Antworten im Internet, z. B. bei Quora
- Chatverläufe in Service-Chats
Spracherkennung (Speech recognition) – Erfassung und Interpretation von gesprochenem Text
Systeme zur automatisierten Spracherkennung und -interpretation im Machine Learning dienen dem Marketing und der Steuerung infrastruktureller Projekte sowie der Politik.
Was für das öffentliche Leben funktioniert, eignet sich ebenso für das Leben des Individuums
Semantische Assoziationsebenen des Individuums
Der aktive Wortschatz eines Menschen: Wie äußert der Mensch sein Innenleben, seine Interessen und Absichten?
Die Gedankenkonstruktionen und -abläufe: Welche inneren Bilder und Schlussfolgerungen erlebt ein Mensch – und mit welchen Auswirkungen (Gefühle)?
Semantische Assoziationsebenen zwischen Individuen, in Teams, Organisationen und Gesellschaften
Sehen wir uns das Individuum und seine Selbstinterpretation in einem System an:
- Nationale Zugehörigkeit – ich und mein Land
- Mitglied einer Organisation – ich und mein Verein
- Sozialer Status – Familie: Ich und meine Kinder
- Sozialer Status – Beruf und Vermögen: Mein Haus, meine Yacht …
Die Visualisierung von Sprachmustern und Denkmustern sorgt für gesunde Distanz
Die Erfahrung aus hunderten Beratungssitzungen und aus der Fachliteratur speziell zur Hynpotherapie zeigt: Klienten, die ihre Sprech- und Denkmuster von außen betrachten, können sie neu bewerten und verändern.
Probleme sind eigene semantische Netzwerke. Sie lassen sich verändern.
In vielen Lebenssituationen laufen jahrzehntealte Grundüberzeugungen wie ein Untertitel im Leben mit:
- toxische Aussagen
- schädliche Denkmuster
- Gedankenkreisen
Ergebnisanalytische Predictive-Analysis und Sentiment Analysis
Die wenigsten Menschen scheinen zu ahnen, welche Netzwerke sie in ihren Gehirnen aktivieren.
Hier gibt es einen großen didaktischen Bedarf.
Mit essenziellen Informationen über das Gehirn können viele Menschen Probleme allein dadurch aus ihrem Leben verabschieden, dass sie ihre Sprachmuster und Lösungsideen verändern.
Jeder Satz, jeder Gedanke ist für sich gesehen ein autohypnotischer Akt.
Für Psychotherapeuten, speziell Hypnotherapeuten
Für alle sprachlichen Begriffe gibt es Bilder. In einem Bildwörterbuch finden wir neben dem Begriff Boot die Zeichnung oder das Foto eines Bootes. In der menschlichen Psyche gibt es diese Ordnung und Zuordnung nicht.
Jedes Wort und jedes andere Signal (optisch, akustisch, taktil, olfaktorisch und gustatorisch) wird in jedem Menschen mit anderen Assoziationen verbunden.
Deshalb ist es im Sinne einer autohypnotischen Grundversorgung hilfreich, von typischen, häufig vorkommenden Assoziationen zu berichten.
Menschen, die über X sprechen und nachdenken, haben davon oft ein inneres Bild wie Y. Wer ein solches Bild hat, kann dazu Gefühle von ABC entwickeln.
Oder:
Personen, die versuchen, etwas durch Vermeidung eines negativen Ergebnisses zu erreichen, haben einen signifikant höheren Aufwand als Personen mit einem klaren postiven inneren Bild.
Für Computerlinguisten: Psychotherapie mit Python und Gephi
Fast alle Konzepte aus der Computerlinguistik lassen sich in psychologische Modelle übertragen und in der Beratung anwenden:
- Closeness centrality – wie nahe liegt ein Begriff zu einem anderen in einem Sprachmuster? Beispiel: Erfolg Zweifel
- Knoten und Kanten – an welchen Punkten und um welche Ansammlungen von Begriffen bilden und stabilisieren sich Problemherde?
- Kookkurrenzen – welche weiteren Gedanken und damit verbundenen Gefühle sind in vielen Fällen mit einem Sprachmuster verbunden?
- Hyperlink-Texte im Web und im täglichen Sprachgebrauch – welche Bedeutungen werden schon früh in einem Dialog auf dem Weg zu einem Themenwechsel erkennbar, und wie wirken sie?
Es gibt hierzu bereits eine Reihe von Ansätzen und in der psychologischen Praxis empirisch erprobten Modellen.
- Was sind die weiteren Auswirkungen und Folgen der Verbindung aus künstlicher und natürlicher Intelligenz?
- Wie können die Erkenntnisse aus dem Machine Learning durch didaktisches Re-Engineering auch dem Individuum in seiner persönlichen Entwicklung dienen?
Schreiben Sie mir und schließen Sie sich mir und anderen in meiner privaten LinkedIn-Gruppe zu diesem Thema an. Ich sende Ihnen eine Einladung: info@johannesfaupel.com